Prater Wien Norbert Rief, Georg Renner Derunperfekte Prater360 GradÖsterreich: Diesmal Frühling im Wiener Wurstelprater. Eine beschauliche Geisterbahnfahrt durch eine Welt, die nochgenauzwischen »drinnen« und »draußen«.unterscheidet. Undwodas Vulgärezumguten Ton gehört. VON NORBERT RIEFLichtvollbricht die Sonne durchdie alten Praterbättme unddas war's dann schon mit Heimito von Doderer. über d
[MEHR]enersten Satz der ersten Strophe kommenwir nicht hinaus. Es gibt hier keine weißen Tische, keine golddurchschossnen Räume', keinen purpurblutenden' Sonnenuntergang hinter schweren Wipfeln'. Es gibt viel Lärm, grelles Licht, lautes Geschrei und den Geruchvonaltem Speiseöl. Wir sind hier weit weg von der Idylle, die der große österreichische Autorin seinem Gedicht Praterabend' beschreibt. Wir sind mitten im Wurstelprater, und der hat nichts mit Lyrik zutun, der ist Prosa pur. Bull, wennstnet sitzen bleibst, setzes a Watschn',dröhnt es aus dem Lautsprecher. Unklare Warnungen kann man dem Betreiber des Autodroms nicht nachsagen, undauch nicht mangelnde Durchsetzungskraft. Der Jugendliche,der eben noch übermütig auf dem Kartherumtumte, setzt sich nieder, und die Ordnung ist wiederhergestellt, soweitman siehier eben herstellen kann. Der Wurstelprater, benannt nachdem Hanswurst' von Schauspieler Josef Stranitzky, ist der Vergnügungsteilder Reservationam Rande des täglichen Lebens', wie Doderer den Praternannte. Die Reservation' ist eine Weltfür sich, seit Joseph II. 1766 per Dekretjeder mann erlaubet, spazierenzugehen,zureiten und zu fahren, sich Der Wiener Wurstelprater hatmit Lyrik nichts zu tun, er ist Prosa pur.daselbst mit Ballonschlangen, Kegelscheiben und anderen erlaubten Unterhaltungen zu divertieren'. Bis zudiesem Avertissement' war die Grünanlage dem Adel vorbehalten. Mit sechs Quadratkilometern istder Prater fast doppeltsogroß wie der Central Park in New York, und zweifellos mehr als doppelt so lustig. Für vieles, was hier unter die Kategorie Spaß'fällt, würde man in den USA ins Gefängnis gehen. Es gibt nicht nur den Vergnügungsbereich, es gibt einen Seemit einer verschrobenen Hütte, in derstets Schlager gespielt werden; eine Trabrennbahn; einen Platz filr die wenigen Baseball Spieler in Österreich;ein Spielareal, in dem an sonnigen Wochenenden dutzende Kindergeburtstage gefeiert werden. Es gibt die Prater Allee, mit 4,4 IGlometern Länge derphysische und vor allem psychische Test für alle Langstreckenläufer; das Stelzen Mekka Schweizerhaus' mitseinen 1000 Sitzplätzen im Nussbaum Garten. Es gibt Plätze, von denen mansich mit Kindern besser fernhält, undes gibt Plätze, diesie anziehen wie der Rattenfänger von Hameln. Familiensache. Schon mein Opa hatsich dort drinnen gefürchtet', meintder Wiener mit Blick auf die Geisterbahn,vor der bewegungslos ein Gorillasteht, während oben zwei Teufel übereinem Toten,kopf wippen. An einer Hand hält der Mann seine kleine Tochter, in der anderen eine riesige Zuckerwatte. Mit Opa übertreibt er vielleicht,aber sein Papa dürfte es schon gewesensein: 55 Jahre ist die Geisterbahn alt,und fürchten muss man sich als Erwachsener nur davor, dass sie einstürzt. Es ist vielleicht nicht alles perfekthier und nicht auf dem neuesten Stand, aber das macht eben den Prateraus', sagt Katja Kolnhofer. Ihr gehörendie Geisterbahn und noch ein paar andere Fahrgeschäfte'. Kolnhofer ist im Prater geboren, aufgewachsen und vordrei Jahren zurückgekehrt. Davor warsie draußen', wie sie es nennt. Aberdas habe ihr nicht zugesagt. Werglaubt, dass die Besitzer von Geisterbahn, Achterbahn oder Schießbudennur vorbeikommen, umdas Geld abzuholen, der irrt. Ich bin jeden Tagda', sagt Stefan Sitder Koidl, einer der Großen im Wurstelprater. Nicht dankharter Geschäftskriege, er hat bei den Habsburgern Anleihen genommenund die Konkurrenz geheiratet. Seit Sinter auch ein Koidl ist, gehören der Familie ungefähr 30 Fahr', Stand'und überkopfgeschäfte. Der 31jährige Sitder Koidl ist ein Praterunternehmer, wie man ihn sichvorstellt. Schlagfertig aufgedreht, einwenig goscherter als andere. Zwei seiner Kinder sind direkt im Pratergeboren,beim Betreiberhaus des Blumenrads. In seiner Brust schlage ein Praterherz'. Und das schlägt etwas schneller, wenn jemand glaubt, er muss unssagen, wie wir unser Geschäftmachensollen'. Wenn die Stadt Wien beispielsweise mit einem Franzosen daherkommt, der uns erklärt, wo wir welche Attraktionenaufstellensollen. Dasbrauchen wir nicht. Wir wollen einfach Spaß vermitteln.' Die Aversion gegen Modernes und Neues mag auch auseinem Selbsterhaltungstrieb stammen. Für vieles, was hier als » Spaß«gilt, würde man in den USAins Gefängnis gehen. Das Geld für jährlich neue Attraktionenhat man nicht, und um einen Themenpark wie Disney Worldzuschaffen, müssten die Alteingesessenen ihre Geschäfte an einen Großinvestor abtretenso man einen findet. Man setztalso auf das,was manteils seit Jahrzehnten hat, auch wenn die Folge ein Schmuddelimage ist, das abends neelichtikeliguren anzieht. Bissl gefährlich, biss' erotisch. Geradedieses Vulgäre, Verruchte, das bissl Gefährliche, auch Erotische' macheden Prater aber aus, meinte der Entertainment Spezialist Christian Mikunda,als er vergangenes Jahr für die Presseam Sonntag' den Vergnügungsparkbesuchte. Man muss nur an einem Samstagabend herkommen, wenn die Familien weg sind,um zuerleben,wovon erspricht: Es ist ein Sammelsurium aus lauten und stillen Alkoholikern, testosterongetriebenen Jugendlichen, aus Oberlebenskünstlern, leichten Damen, aus Strizzis, Hallodris, unddazwischengestreut flanieren verloren Touristen und Wiener. So ist eben Wien', meint Sittler Koidl. Wir sind kein Soziotop, wir ziehen alle Schichten an.' Das schafftauch Originale, die freilich wenigerwerden. Der Prater Heinzi' etwa ist indie Jahre gekommen. Er ist legendär,seit er vor vielen Jahrzehnten einem Bauern das ganze Geld abnahm, mitdem der eigentlich einen neuen Trak Prater Wien Norbert Rief, Georg Renner tor kaufen wollte. Oder der Oberländer', der in den Prater kam,umbilligdie Geisterbahn auszumalen und nochimmer da ist. Nicht mehrzum Malen,sondern als Betreiber. Er ist nach dem kritischen Urteilvon Thomas Sittler ein echter Prater Zur Unternehmerehre gehörtesoffenbar, immer knappam Ruinzukalkulieren. Unternehmer TM. Einer, der kämpfe,umzu überleben; der sich die Attraktionengut überlegen müsse, für die man als Betreiber 15, 20 Jahre Laufzeit kalkulieren müsse. Nicht wie die, die mit den Casinos Geld gemacht hätten und sichjeden Schrnarrn' leisten können, sagt Sittler und spuckt die Worte regelrechtaus. Zur Ehre eines Prateruntemehmersgehörtesoffenbar, knappam Ruinzukalkulieren. Wie schnell sich im Vergnügungsgeschäft das Blattwenden kann, haben viele Praterbetreiber erlebt. Einmaldie falsche Achterbahn gekauft, auf derniemand fahren will, und schonistman Firmengeschichte. Oder man willnicht mehr, wie die Schaafs. Vor zehn Jahrenwar die Familie einer der größten Unternehmer, heute steht Gottfried Schaaf einsam in seiner Schießbude. Irgendetwas andereszumachen, könne er sich aber nicht vorstellen. Der Prater ist eben sein eigenes Stimulans. Wie für Arthur Schnitzlers Leutnant Gustl, demernste Bedenkenam Selbstmord,zudem ihn seine Ehreverpflichtet, kommen, alserdurch den Prater spaziert, die Luft genießt und die Frühlingsblumen riecht: Man sollt',schlussfolgert Leutnant Gustl, öftersbei der Nacht in'n Prater gehn.'9,7 AM 17. APRILHeer. Mit den Offizieren fürchtenauch die Gemeindenum die Wehrpflicht. Weniger Soldaten bedeuten Kasernenschließungen, unddie sind ein wichtiger lokaler Wirtschaftsfaktor.//// A PA4 Wilhelm joggt fast täglich auf der Hauptallee. Ziel: der City Marathon. Herr Robert, Kellner im Schweizerhaus, bei der Arbeit. Prater Wien Norbert Rief, Georg Renner Prater Wien Norbert Rief, Georg Renner Eigentlich kennenwir eh schon alles: Manuel, Lisa, Petraund Patrick aus Wiener Neustadtnutzen die ersten Frühlingstagetrotzdem für einen Besuch im Wurstelprater. HH Fiorlen Raine( ( S) Gottfried Schaaf, Sprössling einer Wurstelprater Dynastie. Einer von 150 im Prater stationierten Arbeitern der MA 42. Prater Wien Norbert Rief, Georg Renner Wiener Multifunlctionspark Vom massentauglichen Happel Stadionbiszu historischen Künstlerateliers finden sich im Praterverschiedenste Angebote: Die vielen Facettendes größten Parks des Stadt. VON GEORG RENNERDen Wiener Prater gibtes eigentlichgar nicht. Man täte dem riesigen Naherholungsgebietmit sechs Quadratkilometern immerhin doppeltso großwie der erste Bezirk,in seinen viele Facetten unrecht, würdeman es aufeine einzelne Funktion reduzieren. Eines aber haben alle gemeinsam: Siehtman vom Wurstelprater' mitrund 250 Attralcdonen privater Unternehmer ab, sind praktisch alle Angebote in öffentlicher Handironischerweise in einem Areal, dasvom Dekret Josephs II. 1766, das den Park für alle Bürger öffnete, bis zum ersten Arbeiteraufmarscham 1. Mai 1890 immerwieder Schauplatz der Auseinandersetzung zwischen Bürgern und Obrigkeitwar. Für die Stadt bedeutet der Praterzunächst einmal vor allem eines: Arbeit. Als größtervon insgesamt 19 Quadratkilometer Parkflächen im Stadtgebiet steht eine kleine Armeevon Pflegern eigens für ihn bereit: 150 Bedienstete der Stadtgartenamtes, der MA 42,versehen täglich ihren Dienst im Prater, 50 davon als saisonale Kräfte nur inderwarmen Saison. Täglich machen sich die Gärtner, Garteningenieure und ihre Hilfskräfteauf Traktoren und Fahrrädernvonihrem Hauptquartier mit der edlen Adresse Hauptallee 2 auf den Weg indie Auwälder, die längst nichts Natürliches mehr habenwir kontrollierendie Bäume, halten die Rasenflächensauber und entleeren die Mistkübel',erklärt Joachim Chen, stellvertretender Leiter des Amtes, mit dem Ton desstolzen Hausherrn des Areals. Die meisten Angebote im Prater sind heute inöffentlicher Hand. Kommt man von Osten in den Prater, interessiert man sich üblicherweisejedoch ohnehin kaum für die städtische Grünoasesondern für diemodernen Veranstaltungsbauten des Areals: Das Ernst Happel Stadion fasst seitseiner Renovierungzur EM 2008 regelmäßig biszu 49.000 Zuschauer füreinzelne Großveranstaltungen kannaber auch die Rasenflächegenutzt werden. So fanden beim U2 Konzert imvergangenen August knapp 75.000 Menschen im Stadion Platz. Ebenfallseinen Besucherrekordkonnte im Vorjahr die Messe Wien aufweisen, die zu Jahresbeginn anlässlichvon Ferien und Automessen von mehrals 116.000 Menschen gestürmt wurde. Das 2004 komplettneu errichtete Messeareal (wie auch das Stadion im Besitz der Stadt Wien) im Prater erinnert an eine vergangene Nutzung: Erstdie Vorbereitungsarbeitenzur Weltausstellung, die 1873 im Park stattfand,gaben dem Prater seine Topografie mit Wiesen, Teichen und dem Konstantinhügel erbesteht aus dem Aushubmaterial für die Rotunde, die Zentrum der Weltausstellung und Vorläuferdes Messegeländeswar. Große Kunst im Pavillon. Zu den sichtbaren Denkmälern der Weltausstellung gehören auch die 23 erhaltenen Pavillons in der Gegend zwischen Stadion und Messe: Sie gehören dem Bund und sind als solcheanbekannte Bildhauer vermietet: Hier wirktenunter anderem Alfred Hrdlicka und Bruno Gironcoli bis zu ihrem Tod. Zu denheutigen Mietern zählenzum Beispielklingende Namen wieetwa Hans Hollein, Walter Kölbl oder auch Ulrike Truger.