Prater Wien HEIKE HAUSENSTEINER Ferienvom Krieg Die Westsahara wird als Staatinternational nicht anerkannt,aber in Hilfsaktionen unterstützt. Auch Österreichbeteiligt sichdaran und beherbergt alljährlichim Sommer ein Dutzend Kinder. HEIKE HAUSENSTEINERDen Dauerregen, wie er im sommerlichen Mitteleuropa vorkommenkann, hätten sie gern. So viel Wasser, das wie selbstverständlichin Österreich die Springbrunnen und Schwimmbäder,
[MEHR]die Flüsseund Seen füllt, kennen die Kinder aus der Westsahara nicht. Die Freude ist daher riesig unter densieben bis zwölfjährigen Schülerinnen und Schülern, die heuer acht Wochen in Österreich verbringen. Auf Sommerfrische in einem fruchtbaren,friedlichen Land. Die Kinder sinddiesmal mehr als zwei Wochen im Bezirk Mödling, eine Woche im Bezirk Melk undzwei Wochen im Bezirk Horn untergebracht. Danach fahren sie erstmals nach Kärnten. Den Abschluss bildet dann wieder Wien. Hindu, Umlahud, Issa, Mohamed, Moloud, Mahfoud, Ahmed, Hussein, Sidi, Mulay und ihre Betreuerin Hassana schlafenu. a.in einem mit Matratzen und Bettzeugausgestatteten großen Raum in einem niederösterreichischen Volksheim. Sie erhalten Kleidungund Spielsachen, auch Kugelschreiber sind beliebt. Besucher begrüßensie mit einem Lied aus ihrer Heimat. Dazugibtesfrisch gebrühten saharauischen grünen Tee. Die Gastgeber gießen ihn in mehrere Gläser, damiterschön schäumt. Daserste Glas istbitter wie das Leben, daszweite süß wie die Liebeund das drittesanft wie der Tod', sagen sie. Das beliebte Linsengericht gibt es im österreichischen Sommerferienlager ebenfalls,nurdie Linsen schmecken wahrscheinlich anders. Nach einigen Tagen der Akklimatisierung toben die Kinder aufgeweckt beim Spielen umher. Wenn es das Wetter erlaubt, geht es zum Angelnanden Fischteich im Waldviertel oder zum Abkühlen in das Schwimmbad und in den Eissalon; auch ein Tag im Vergnügungsparkdes Wiener Praters ist dabei. Und was manin Österreich als Schlechtwetterprogrammbezeichnet, bedeutet für sie Sackhüpfen, Theater, Memory oder Mikado spielen,basteln oder malen; dazwischen gibt es zur Stärkung Selbstgebackenesvonden österreichischen Gastgebern, Biskuitroulade, Guglhupf oder auch Muffiris. Schließlichmuss manden Regen immer willkommenheißen', wiemanin der Wüste sagt. Vor allem Steinwüste habendie Kinderbisherkennengelernt. Imalgerischen Flüchtlingslager, daszueiner dauerhaften Einrichtung geworden ist, sind sie zur Weltgekommen, dort gehen siezur Schule unddort werden sie bis auf Weiteres leben. Ihreeigentliche Heimat liegt zwischen Marokko und Mauretanien in Westafrika. Dass sie nicht ihnen gehört, ist ein Vermächtnis der europäischen Kolonialpolitik. Zwar leistete die Westsahara seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Widerstand gegendie französischen und spanischen Kolonialarmeen in Nordwestafrika. Doch seit1965 steht die Westsahara unverändert auf Prater Wien HEIKE HAUSENSTEINER der Liste der Vereinten Nationen mitanderen Staaten,deren Entkolonialisierungnoch aussteht.1973 gründete sich die saharauische Befreiungsfront Frente Polisario' undbegann, gegendie spanische Kolonialmachtzukämpfen. Nach dem Franccr Regime unddem Rückzug Spaniens okkupierten Marokko und Mauretanien das Gebiet. Dem Widerstand der Einheimischen ergabsichnur Mauretanien, das seinen Gebietsanspruch aufgab; der Großteil wird bis heutevonmarokkanischen Soldaten und Siedlern besetzt Die meisten Saharauisflüchteten. Viele ließen sich im angrenzenden Algerien nieder. In mehreren Flüchtlingslagern in der Nähe der Stadt Tindouf lebeneinige Hunderttausend Saharauisundüberleben dank internationaler Hilfe. 1978riefen sie, namentlich die kommunistischgeprägte Befreiungsfront Polisario', denweltweit einzigen Staat im Exil aus: die Demokratische Arabische Republik Sahara( DARS) Marokko, das bis dato nicht vonseinem Gebietsanspruch abrückt,erkenntden Staat nichtanebenso wenig wie dieeuropäischen Länder. 1984 wurde die DARS Mitglied der Organisation für Afrikanische Einheit' (der heutigen Afrikanischen Union'), worauf Marokko seinen Austritt erklärte.45 Staaten erkennen die DARS an, allenvoranlateinamerikanische Länder und Südafrika, das bereits unter Nelson Mandela eine Vorreiterrolle übernahm. Nachdem Völkerrecht anerkennt die UNO aberweder die Annexion durch Marokko nochden ausgerufenen Staat. Das von der UNOgeforderte Referendum unter der saharauischen Bevölkerung hat bis heute nicht stattfinden können. Immerhin herrscht zwischen Marokko und der Polisario' seit 20 Jahren Waffenstillstand, selbst der schienaber zuletzt im Gefolge des Umsturzes in Libyen brüchig geworden. Beobachter haben jüngst den Anspruch der Westsaharaauf einen eigenen Staat infrage gestellt. Faktum ist: Die größten Leidtragenden indem ungelösten Staatenkonflikt sind die Kinder. In Österreich können sie Ferienvom Krieg' machen. Die Organisationübernimmt die Österreichisch Saharauisehe Gesellschaft'. In der weltweiten Aktion werden seit 20 Jahren saharauische Kinder in Länder wie Südafrika, die USA., Frankreich, Spanien und Italien verschickt;in Spanien etwa sind es mehrere Tausend Kinder, die acht Wochen lang bei Familienuntergebracht sind. Spanisch ist die zweite Fremdsprache, die die Kinder erlernen.neben ihrer Alltagssprache Hassania undneben Arabisch. Denn auch sie haben neun Jahre Schulpflicht, sechs Klassen Grundschule besuchen sie im Lager, zur Mittelschule können sie in Algerien gehen, wie Nadjat Hamdi, die Vertreterin der Frente Polisario' in Deutschland und Österreich,berichtet. Die Schulen werden aus Lehmgebaut. Die Lebensmittel müssenalle importiertwerden, wobei Spanien und das Flüchtlingshochkommissariat sowie die Welternährungsorg,anisation Hauptuntersttitzersind. Wir leiden nicht Hunger, aber wir Staunen über das viele Wasserund elektrisches Lichthaben seit 30 Jahren keine ausgewogene Ernährung', erzählt Nadjat Hamdi. Viele Kinder bekommen durch das chlorhaltige Wasser braune Zähne. Dass jedes Jahrzumindest ein Teilvonihnen Ferienvom Krieg machen kann, bedeutet für ihre Familien auch eine Entlastung. Und die Sommersind in der Sahara sehr heiß, mit Temperaturen bis zu 50 Grad Celsius im Schatten, kaum Wasser unddem regelmäßigen Sandsturm, der Saharauis ärgster Feind. In Österreich staunen die Kinder vor allem über das viele Wasser und unheimlichviel elektrisches Licht', wie Nadjat Hamdierzählt. Die Kinder haben zum Beispielnoch nie Ampeln gesehen oder Rolltreppen', wie auch Treppen im Lager ja überhaupt nicht vorhanden seien. Nach der Ankunft wurden die Kinder zunächst medizinisch untersucht und erhielten neue undgebrauchte Kleidungallesamt Spenden. Siekommen mit nichts undgehen mit vollen Koffern oder Taschen',sagt die Botschafterin. Am Ende der Ferienwerden sie Fotos gesammelt haben undkleine Geschenke für ihre Geschwister. Und sie werden sich wieder auf ihre Elternund ihr Zuhause im Lager freuen. Prater Wien HEIKE HAUSENSTEINER