Neue Zürcher Zeitung 24.10.2014 Prater Wien Ingeborg Waldinger 24.10.2014 für Prater Wien Gmb H und Wiener Praterverband zum eigenen Gebrauch nach §42a Urh G. Der Kiang einer welkenden Welt Fiir die Touristen kommt der Wiener Dialekt in nostalgischem Hochglanz daher, doch im Alltag verblassterzusehend,s Zuwandererstrome haben den Wiener Dialekt reichan Nuancen, Metaphern und Lehnwortern gemacht. Nach dem Zweiten Weltkr
[MEHR]ieg gerieterin die Defensive undsteht heuteunterdem Druck des Hochdeutschen. Wo Autoren einst sein poetisches und politisches Potenzialnutzten,pflegtmanheute die Nostalgie. Ingeborg Waltlinger« Linkahaund segn's a neigotische Hitt'n, des Rodhaus», tontes ausdem Audioguide des Vienna Ring Tram. Ja, linker Hand ist das Rathaus zusehen, eine neugotische Hiitte. Wer die Wiener Ringstrasseper Nostalgie Tram erkundet und die Stadtftihrerversion « Wean» wahlt, bekommt als Sprecher « Mundl»zuhoren, den proletarischen Hanswurst der TVSerie « EM echter Wiener gehtnicht unter». Mit markigen Kommentaren ironisiert er Sehens und Denkwiirdiges,soauch das Prinz Eugen Denkmal: « A bisslgrossfiaano'zwickt'n Hawara» ( Em n bisschen gross fitr einensoklein geratenen Ken). So Ich karnevaleskes Lachengegendie Herrschenden geh Ortzum legendaren Wiener Schmah, der im Stadtdialekt facettenreichzum Ausdruck kommt. Doch die Muttersprache der Wiener verblasst im Al!tag zusehends. Zeit also fiir eine Bestandsaufnahme. Der Wiener Dialekt ist reich an Nuancen, Metaphent und Lehnwortern. In ihm hallen die Zuwandererstrome der k.u.k. Zeit nach, etwa « Netsch»für Kleingeld oder «barabern» fur hart arbeiten. Esist em Wortschatz der kleinen Verhatnisse. Dochanal das noble Franz Osisch hinterliess Spuren. Schon Madame de Stael staunte tiber die extreme«francisation» des Wiener Hofs: « On croit trop Vienne qu'il est de bon gout dene parler que francais.» Die Bourgeoisiezog nach und veredelte ihr Hochdeutsch durch franzosisches Wortgut, einenonchalante Dehnung und nasale Tiinung. Herauskam das « Schonbrunnerdeutsch». Auch das einfache Volk fand Gefallen am « Balewudscherin»(von «parlezvous francais»), bog sich Lehnw Orterdialektal zurecht und veranderte manchen Sinn:« Batea» (parterre) meint Erdgeschoss bzw. pleite;« Schani »( Jean) eine Hiifskraft, und « Schmafu» (jem'en fous) etwas Unsinniges, Wertloses. Der ambitionierte Neusprech bot dem Volkstheater Raimunds und Nestroys reichlich Stoff ftir Parodien. Im Feudalwienerisch der Figurenvon Schnitzlerund Hofmannsthal weicht die Komik der Melancholie,esist der Kiang einer welkenden Welt. Sprachform der Unterschicht Mit dem Zerfall der kosmopolitischen Donaumonarchie stagnierte die fremdsprachenbedingte Entwicklung des Wiener Dialekts. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet er gar in die Defensive: Uberdas Kabelfernsehen sickerte das bundesdeutsche Idiom in Wiens Wohnzimmer em; zudem schafftenbreite Teile der Unterschicht den sozialen Aufstiegund verdrangten die stigmatisierte Mundart in den Privatbereich. Fin. Manfred Glauninger, Linguistan der Universitat Wien und der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften, ist das «eine relativunspektakulare Sache, well Sprachewie jedessoziale Phanornenununterbrochen im Wandelbegriffen ist». Dialektabbau beobachteman fast imgesamten deutschen Raum. In Wien sei diese Entwicklung aber besonders markant,u. a.aufgrundder veranderten Massenimmigration. Im 19. Jahrhundert seien die Zuwanderer «in den Dialekt hineingewachsen. Soziologisch betrachtetwar er die Sprachform der Wiener Unterschicht. Im Bewusstsein der Menschen ist er das noch immer.* Allerdings sei heute emn iiberwiegender Teil der Menschen, die der Wiener Unterschicht zugerechnetwiirden, nicht deutscher Mutterspracheundwerde auch «nicht im Wiener Dialekt sozialisiert». Daftir bekomme der Dialektnun in Tourismus, Werbung und Kunst eine potenzierte Funktion,weil en bestimmte Stereotype hervorrufe. Die Wiener Qualitatspresse wiederum,soder Experte,nutze den Dialekt als ironisches Kontrastmittel. Gerade im Feuilleton,wo em n hochgestochener Duktus herrscht, lasse sichso «sehr stiffisant Kritik iiben, ohne dass man ganz verletzend seinmussaberes ist trotzdem oft vernichtend». Diese Formvon Scherz, Satire und Ironic funktioniertauch iiber das Wiener Diminutiv «erl». Hinreissende Beispiele daftir liefert Nestroys « Freiheit in Krahwinkel»: Seine Krahwinkter haben emn « Tyrannerl», «ein Zensureri, Staatsschulderin, weiti Ther unsere Krafterin, also mtissen wir auch emn Revolutionerl und (..) em Konstitutionerl undendlicha Freiheiterl krieg'n». Glauningerzuden Finessen dieses Diminutivs: « Es ist ja selten einedimensionale Vetkleinerung: Wenn Sicemn Kaffeetscherl trinken, ist das kein kleiner Kaffeeder Genuss kann Stunden dauern! Es ist immeretwas Atmospharisches, Situatives, Pragmatisches.» Gustosttickerl ironischer Diminuierungliefere auch die Bouievardpresse: Das Blatt « Heute» etwa weise bei Models oftmals auf deren « Popscherl» hin. Das sch Onste Beispiel aber habeerineinem Modegeschaft gehart,wo eine Verkauferinzu einer Dame sagte: « Sie konnen das auch emn Gr Osserl holier haben.» Urn derlei Nuancen hochsprachlich auszudrticken, mtisstemansehr weit Neue Zürcher Zeitung 24.10.2014 Prater Wien Ingeborg Waldinger 24.10.2014 für Prater Wien Gmb H und Wiener Praterverband zum eigenen Gebrauch nach §42a Urh G. ausholen und wiirdeesdoch nicht emszuems hinbekommen. Umgekehrtversage der facettenreiche Wiener Dialekt ausgeiechnet bei einem derwichtigsten Gefiihle: Für « Ich liebe dich», Oberrascht Glauninger, gebees auf Wienerisch keinedirekte Entsprechung. Ab den ftinfziger Jahren erschlossen Kunstschaffende den Dialekt ftir Buch und Biihneneu. H. C. Artmann dichtete « Medanaschwoazzn Dintn»mit einer Tinte,so schwarz wie der Wiener Humor. Die Kabarettisten Helmut Qualtingerund Carl Merz schufen den « Herrn Karl», eineschaurige Mitlauferfigur, und rituelten mit Gerhard Bronner und Georg Kreisleram« Brett]vorm Kopf» ( Programmtitel) der Wiederaufbau Generation. Daftirzogensie alle Register des Wiener Dialektsetwa seine kreative, fur Auswartige soschwer verstandliche Vieldeutigkeit. Die lasst sich freilich auch subversiv nutzen,weiss einer der profiliertesten Kabarettisten der Gegenwart, Alfred Dorfer. Als Theaterwissenschafter hatersich eingehend mit Satire in totalitaren Systemen befasst; als « Kabarettprofessor»referierter dartiber ander Uni Graz. « Nehmen Sic das Wiener Werkel (in der NSZeit einziges Kabarett der Stadt); noch heute streiten sich alle: War das jetzt subversiv oder anpasserisch? Wenn Sic im Wiener Dialekt etwas Bosartigessagen,k Onnen Sieeswit Mitteln wie dem Diminutivsofort der eindeutigen Auslegung entziehen.» Dorfer spielt virtuos auf der Klaviatur dieser Mundartob auf Kabarettbiihnen, in der TVSitcom « MA 2412»oder im Roadmovie « Indien». Und als einer, der Sprache als Musik begreift, betonternoch eine Starke des Wienerischen: seine Melodiositat. Entsprechend alt ist der Bund von Wiener Dialekt und Musik, etwa in den Volks und Heurigen Liedern. Die preisen Wein, Weib und Gesang, Getassenheit ob des Unausweichlichen und die gutealte Zeit. Qualtinger und Co. hatten diese Seligkeitanarchisch persifliert, Wiens Liedermacher setztenden kritischen Tenor fort. Allen voran Arik Brauer, der als Musiker em n ebensogrosses Ansehen geniesst wie als Maier (er war Mitbegrtinderder Wiener Schule des phantastischen Realismus). Nach den Motiven fin. seine Dialektwahl befragt,meint der Kiinstler: « Man erreichte damitganzklar emnbreiteres Publikum.» Zudem sei Gesellschaftskritik auf Wienerisch«im Unterschiedzum deutschen Protestlied mit seinem intellektuellen Pathos»weniger plakativ und belehrend. Davon zeugt etwa sein beschwingtes Lied « Kopferl im Sand»: Da hates einer zu bescheidenem Wohlstand, behaglichem Posten undzu einer dicken,stissen Frau gebrachtund ignoriert den Rest des Weltenlaufs: « Hinter meiner, vorder meiner, /inks,rechts gilt's nix, / Oba meina, unta meina, siach i nix/ Spur nix, hear nix und i riach nix / Denk i nix undred i nix undtua i nix». Das politische Potenzial Brauer, der in der profanen Wiener Vorstadt aufwuchs, nennt den Dialekt seine « Muttersprache». Das politische Potenzial dieser Stadtmundarterkannteer aber erst in seiner Pariser Zeit, als er die Kraft des Argots entdeckte. Zurtick in Wien, habeersich geradezu auf den Dialekt gesttirzt,urngegen die falsche Gemiitlichkeit, den Rassismusund Antisemitismus seiner Zeitgenossen anzusingen oder ganz neue Themen aufzugreifen, etwaden Konsumwahn oder die Umweltproblematik. Arik Brauer rtittelt auf, scharf, humorvoll mid subtil (selbst)ironisch. Vielleicht sind seine Liederauch eine Formvon Psychohygiene. Ein Albumtragt den sch6nen Titel: « Motschkem is g'sund» Kritisieren ist gesund. Eine weniger stachelige Dialektblume der siebziger Jahrewarder Austropop. Dessen « Mutter», Marianne Mendt, verwienerte erst das Musical« Hair». « Let the sunshine in» hiess « Mocht's de Fensta auf». « Daswarschon em n bisserl politischgemeint», erinnert sich die Musikerin. Mit « Wiaa Glock'n» (getextet von ihrem Mentor Gerhard Bronner) landete sie dann einen Hit im Big Band Swing. Mendt brilliert zudem ais Volksschauspielerinim Theater, Film oder in der TVSerie « Kaisermtihlen Blues». Jo der Blues, der liegt dem Wiener halt im Blut. Horbar wird das im « Neuen Wiener Lied», das traditionelle Melodien mit Blues, Jazz oder Rockrhythmen kreuzt. Dazu gibtessatirischtiefsinnigehis brachial kalauemde Dialekt« Lyrics». Stefan Slupetzky, Cheftexter des famosen Trio Lepschi,less schon als Autor der « Lemming» Krimis die Funken des Wienertums spriihen: politisch unkorrekt, abgriindig, melancholisch. Als Liedtexterersinnter nun Liebeserklarungen wie: « Ohne di bin ia Gulaschsuppm ohne Paprika!» Und aus der Finanzkrise zieht er den Schluss, sicb klugerweisegleich zu betrinken, denn:«.wosda Blede leidaned vaschteht, / i, dass d' Wod untageht.» ( Freinach Nestroy, « Lumpazivagabundus»: « Die Weltsteht auf kan Fall mehr lang.») Mit Fatalismus und Charme pflegt der Wienerdem Leben zu begegnen. Undwas er vom Sterbenhalt, drtickt sich im Wort, « Schlagerl» ( Schlaganfall)aus. Slupetzky: « Ich kenne keinen Ort aufder Welt,wog'scheiter mit dem Todumgegangenwird als hier: ihn nichtzu verleugnen, sondem ihngewissermassenansein Herzzuziehen und dabeiso zu umarmen,dasser sichnicht mehr rtihrenkann, der Tod.» Wie wahr: In der Sprache spiegeltsich die Seele des Volkes. Sic stiftet Identitatsolange sie im Leben verankert ist. Die graduelle Verlagerung des Wiener Dialektsvom Alltag Richtung Btihne und Werbung stellt fur den Linguisten Glauninger lediglich einen « Transformationsprozess»dar, ftir die befragten Wiener Kiinstler indeseine Verarmung. Wahrend Marianne Mendt nochamehesten eine Zukunft für das Wienerische sieht, Neue Zürcher Zeitung 24.10.2014 Prater Wien Ingeborg Waldinger 24.10.2014 für Prater Wien Gmb H und Wiener Praterverband zum eigenen Gebrauch nach §42a Urh G.