16.09.2015 für Prater Wien Gmb H und Wiener Praterverband zum eigenen Gebrauch nach §42a Urh G. WAR DIE Ö STERREICHISCHE GESCHICHTE NICHT IMMER SCHON ZUM FÜ RCHTEN? In Zeiten, in denen Nationalgeschichte wieder einmal mit großkoalitionären Handshakes besiegelt wird, fragt MALMOE augenzwinkernd: Was ist Geschichte überhaupt? Wer schreibt sie? Wer sind ihre ' Helden'? Wie wird sie in Szene gesetzt? Was wird ausgela
[MEHR]ssen, 'was übertüncht? Zur angemessenen Auseinandersetzung mit diesen Fragen wird im Prater eine Geisterbahn umgebaut. Das Publikum begibt sich auf eine Tour durch einige Konfliktfelder der Zeitgeschichte, um die in offiziellen Auseinandersetzungen gern ein großer Bogen gemacht wird. Doch diesmal mischen sich zu den Sounds der Geisterbahn auch Stimmen aus der Vergangenheit. Die zentralen Figuren österreichischer Zeitgeschichte treten als gnadenlose, untote Wiedergänger in Erscheinung. Eine Nachlese, ein möglicher Geisterbahn Soundtrack und eine Betrachtung des Horrors als Geschichtsperspektive auf die Nazivergangenheit im österreichischen Spielfilm. FÜ RCHTET EUCH NICHT! Der Text zur Fahrt Seit Jahren geistert die Idee eines ' Hauses der Geschichte' mit Sitz in Wien durch Österreich nun wird es angeblich ernst. Ausgerechnet am Heldenplatz soll dieses Projekt neben dem ' Weltmuseum Wien' angesiedelt werden. Das Wienwochen Projekt ' Graus der Geschichte' versteht sich als unterhaltsamer Vorgeschmack auf Musealisierungsdiskurse und nationale Geschichtsschreibung. GRAUS UND KOFFEIN An jenem regnerischen Nachmittag in einem Wiener Kaffeehaus wurden Köpfe über koffeinhaltigen Getränken und Spezialtoast zusammengesteckt und eines war schnell klar: das Projekt, an dem wir uns versuchen wollten, sollte ein direkter, ironischer Kommentar zu aktuellen Debatten um österreichische Geschichtspolitik sein. Der Behäbigkeit des großkoalitionären Hickhacks sollte dieses Projekt ratzfatz einen Seitenhieb versetzen: ' Graus der Geschichte' war geboren und mit seiner 160 Sekunden dauernden Fahrt durch eine Geisterbahn das schnellste Histotainment Österreichs. Seitdem sind viele Monate (viele Kaffees, viel Spezialtoast) vergangen. Austragungsorte wurden ausgeheckt (ein Container auf dem Heldenplatz, eine Baustelle, ein leeres Schwimmbad) und wieder verworfen. Die Geisterbahn war klarer Favorit. Geisterbahnen wurden also getestet, die Tester_innen avancierten zu wahrhaften Connaisseuren der gespenstischen Materie. In der ' Großen Geisterbahn' im Wiener Wurstelprater wird nun dem Verlorenen, Verdrängten, dem Konfliktiven, Widersprüchlichen, den Brüchen und Wirrungen, der österreichischen Zeitgeschichte Unterschlupf gewährt all jenen Aspekten eben, die im offiziellen Haus der Geschichte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Platz finden werden. Denn Geschichte ist geprägt von Konflikt und Störungen, von Konstruktionsprozessen, nicht von Konsens. GESCHICHTE IN DER GEISTERBAHN Den roten Faden bilden verschiedene Aushandlungsprozesse und Kämpfe um Geschichtserzählungen, die in harmonisierenden konsensualen großkoalitionären Geschichtsdarstellungen zugedeckt und ausgeblendet werden. Umgesetzt wird das durch die Thematisierung von konfliktbehafteten Repräsentationen in der Geisterbahnnarration. Das Format Heldenerzählung also eine Geschichtserzählung, 'die große Taten, große Männer' in den Vordergrund stellt wird aufgegriffen, indem in kurzen Sequenzen mittels Zitaten und plakativen Elementen Erzählungen der österreichischen Geschichte thematisiert werden. Diese ' Heldenerzählung' soll dabei aber ironisiert werden: Durch das Setting Geisterbahn selbst, zugleich aber über Hervorkehrung und Isolierung, Überspitzung oder distanzerzeugende Mittel: etwa frenetischen Applaus, der eingespieltwird, oder Zitate, die selbstentlarvend sind, also die Tendenz zur Harmonisierung deutlich machen. Graus der Geschichte greift damit den Erlebnischarakter auf, den das österreichische Haus der Geschichte haben soll und versucht über Fragmente und Spukgestalten der nationalen Geschichte eine unterhaltsame, mit Anspielungen und .prominenten1 Beispielengespickte Erzählung zu bieten, die ein Licht auf die strittigen und oft zugedeckten oder beschwichtigten Aspekte österreichischer Vergangenheit wirft. DER INHALTLICHE GRAUS ... war schnell festgelegt, die Liste mit möglichen Themenfeldern lang. Der herrschende Umgang mit Konfliktfeldern der österreichischen Geschichte, der mehr auf Konsens als auf Aufarbeitung bedacht sind, ist eine übergenaue Erfüllung von Hugo Portischs Anspruch ' Wir dürfen uns nie wieder zerstreiten' (so Portisch im Gespräch mit Alexander Wrabetz zur Neuauflage von Österreich II am 26.10.2013). Und das betrifft auch die Vorzeigefiguren der österreichischen Zeitgeschichte: Dass Kreisky nicht davor zurückschreckte, Nationalsozialisten in die Regierung zu holen, dass Figl die Mitverantwortungsklausel im Staatsvertrag gestrichen hat, dass Waldheims SAVergangenheit erst nach langwierigen Prozessen und seiner Bundespräsidentschaft zum Trotz ans Licht geholt wurde, dass das Dollfuss Portrait immer noch die Ö VPZentrale ziert all das zeugt von einem Umgang mit einer noch nicht so lange zurückliegenden Vergangenheit, der Harmonie zu seinem erklärten Ziel macht. WIEDERGÄ NGER Die Konfrontation mit dieser steten und unheimlichen Wiederkehr führt zur Frage, inwiefern Politiken des Erinnerns auch immer Politiken des Vergessens sind und wie sie, in ihrem Umgang mit der Vergangenheit, auch die Zukunft prägen. Die Intervention regt zum Hinterfragen von staatstragenden Erzählungen an, die auch in ihrer aktualisierten Form zwangsläufig von Ausgrenzungen, Kittungen und Konsensfindungen begleitet sind. Der Wiener Prater bietet sich als Ort für eine solche Reflexion an: Er ist auf den ersten Blick bloß ein unverfänglicher Vergnügungspark. Doch hinter den Fassaden verbirgt sich seine eigene und keinesfalls so harmlose Entstehungsgeschichte, die mit rassistischen Ausschlüssen und Zurschaustellungen wie den ' Völkerschauen' eng verknüpft ist (siehe den Praterschwerpunkt auf den Seiten 12 und 1819 in dieser Ausgabe). Der Ort der Geisterbahn treibt schließlich auch Fragen nach einer möglichen Vermittlung von Vergangenem auf die Spitze: Für wen und an welchen Orten wird Geschichte erzählt? Und welche Rolle spielt dabei das Entertainment? Oder geht s eh nur um a schene Leich? NICHT TEIL DER GESCHICHTE Schließlich stellt sich die Frage nach dem, was nicht erzählt wird, was nicht Teil der konsensualen Geschichtserzählung ist. Es ist, so wird vielstimmig versichert, seit Waldheim und spätestens seit Franz Vranitzkys Rede im Parlament 1991' geschichtspolitischer Common Sense, dass auch Österreich Verantwortung am Nationalsozialismus und seinen Verbrechen trägt. Wie verhält es sich aber mit Mitverantwortung in aktuelleren Zeiten? Wie steht es mit der Erzählung über eine rassistische und restriktive Asylund Fremdenrechtsgesetzgebung, die einen historischen Höhepunkt in der Politik des SPÖ Innenministers Franz Löschnak gefunden hat und sich über Parteigrenzen hinweg bis heute fortsetzt? Wie mit dem sogenannten ' Strategiepapier zur Migrationsund Asylpolitik', von österreichischen Behörden 1998 als EUVorlage verfasst, das eine de facto Aushöhlung der Genfer Flüchtlingskonvention bedeutete? Welche Rolle spielt die Mitverantwortung Österreichs an den abertausenden Toten an den EUAußengrenzen in der Geschichtserzählung? Und welchen Platz nehmen Marcus Omofuma, Seibane Wague und die vielen anderen unter der Obhut österreichischer Behörden ums Leben gekommenen in der am Heldenplatz repräsentierten Geschichte ein? Um eine Antwort auf all diese Fragen zu finden, werden noch viele Konzepte, viele Häuser der Geschichte notwendig sein und soviel steht zu befürchten viele Geisterbahnen. MALMOE graus G ' SCHICH'fe