Wiener Zeitung 12.09.2015 Peepshow für Tofujäger In der Leopoldstadt werden Dinge beim Namen genannt. Ein Nazi ist ein Nazi, ein Jude ein Jude, eine Hure eine Hure. Und Gentrifizierung ist kein Tabu, sondern längst Realität. Von Solmaz Khorsand Wien. Nicht viele Wiener besitzendie Grandezza wahrer Großstädter. Das Selbstbewusstsein. Die Souveränität. Diemondäne Gleichgültigkeit. Nichtso inder Leopoldstadt. Im
[MEHR]2. Bezirk hatmanÜbung darin, das Andere,das Fremde, das Unbekannte zuignorieren, ohne sich über seine Unangepasstheit zu beschweren. Man hat sich gewöhnt an die Bobos, die Juden, die Jugos, die Türken, die Nutten, die Junkies, die Alten und die Jungen. Unbeeindruckt navigiert der Leopoldstädter durch jedes Milieu. Schrammtvorbei an der einen oder anderen Parallelgesellschaft,biserschließlichzuseinesgleichenstößt. Egal ob das die yogagestählten Seiltänzer vom Karmelitermarkt sind, die Männer mit den Schläfenlocken vom koscheren Deli in der Taborstraße, die Frauen in den durchsichtigen Kleidernin den Hauseingängen des Stuwerviertels oder die Haudegenvor dem Wettcaffiam Mexikoplatz. Leben und leben lassen,lautet hier die Devise. Denn in Wirklichkeit schätzen sie die Anwesenheit des anderen, dienensie einander doch als Statisten fürdie eigene sonst langweilige Existenz. Knapp 100.000 Menschen leben in der Leopoldstadt, auf der Insel zwischen Donaukanal und Donau. Eine bewegte Geschichtehat Wiens 2. Bezirk hinter sich. Eine von Vertreibung und wieder Ansiedlung. Von Parias und Boheme. Von Substandardund Dachausbau. Potenzial hat die Leopoldstadtsagen die einen, Bedarf nennenes die anderen. Das Resultat istdasselbe: Es wird saniert, gebaut,entwickelt. Und verdrängt. Die Gleichung ist auch in der letzten Kategorie DWohnungangekommen: Was behübscht wird, kostetauch mehrund ist somit nichtmehr leistbar. Die Folge: Platz machen für den nächsten Selbstoptimierer in der Nahrungskette. Stadtplaner nennen das Gentrifizierung. Ein Wort, das in Wienvermieden wird, gehörtesdochnach Berlin, London und New York, dort, wo es eben ein bisschen rauer, grober und kapitalistischer zugeht. Doch in der Leopoldstadt kennt man keine Tabus. Hier werden Dinge beim Namengenannt. Ein Nazi ist ein Nazi. Ein Jude ist ein Jude. Eine Hure ist eine Hure. Ein gentrifiziertes Viertel ist ein gentrifiziertes Viertel. Die Verdrängung ist der natürliche Lauf der Dinge. Schließlichwill man ja Metropole sein, undwenndas der Preis ist, dannverlangen eben ein paar Tofujägermehr auf einem ausgestorbenen Markt nach ihrem Sojalatte. Ein aktives Volk ist diese Leopoldstädter Boheme. Es organisiert Straßenfeste, engagiert sichbei Popup Messen für die Nachbarschaft und lädt zu Grätzel Rundgängen. Und das imganzen Bezirk. Egal ob in seinem Epizentrumdem Karmeliterviertel, im Park am Max Winter Platz oder inden frischen Genossenschaftsbauten des Nordbahnviertels. Der rote Kampfanzwei Fronten Der neue Leopoldstädter will sicheinbringeninseinem Bezirk. Sichtbar,aktiv,mitunter auchlautstark. Regelmäßig besucht erdie Bezirksversammlungen,beschwert sich beim Bezirksvorsteher über die Dauerbespielung der Kaiserwiese im Prater, der Vertreibungder Sexarbeiter vom Straßenstrich, dem Konzertsaalam Augartenspitz,der Räumungvon Mietern durch Immobilienspekulanten und der Kommerzialisierung des letzten Grünstreifensam Donaukanal. Die sind politisch motiviert',murmelt Karlheinz Hora. Seit2013istder SPÖ Politiker Bezirksvorsteher der Leopoldstadt. Das Engagement seiner Bewohnerist ihm hörbar suspekt. Natürlichkannsichdieser Aktivismusnicht gebildet haben, da mussschon der eine oder andere politische Gegner nachgeholfen haben. Auf Bezirksebene kämpft die SPÖan zwei Fronten. Im Gemeindebau gegen die Freiheitlichen, inden neuen und aufgewerteten Vierteln gegen die Grünen. Ihre Klientelist zunehmendsichtbarer und beginnt nun auchin den scheinbar unattraktivsten Ecken des Bezirks ihre Zelte aufzuschlagen. Nach dem Karmeliterviertel,dem Vorgartenmarktund dem Stuwerviertel, meinen Optimistengar amverschlafenen Volkertmarkt und angrenzenden Alliiertenviertel das erste Shabby Chic Inventar ausmachen zu können. Es sei nur mehr eine Frageder Zeit, bis sie sich auch in denneuerschlossenen Stadtteilen,wie beispielsweise auf den günstig von der Stadt Wien verkauften Krieau Gründen unmittelbaram Campus der Wirtschaftsuniversität, heimisch fühlen. Dankbare Kulisse für die Vintagewirldichkeit Gelegentlich plagt sie ein schlechtes Gewissen, die Jungakademiker, die Kreativen, die Selbstständigen, dass sie sich in der Leopoldstadt so günstig niedergelassen haben. Aber es ist das Süß Saure, das ihnen an dem Bezirkso gefällt. Klar klingt es überheblich, als Besserverdiener das Verruchte und Kaputte von der frischsanierten Terrasse aus zu romantisieren. Doch sind die Leopoldstädter eine dankbare Kulisse fürdieeigene Vintagewirklichkeit. Dietürkische Großfamilieim Park, der orthodoxe jüdische Bubauf seinem Roller, der behäbige Studiobesitzer mit den jungen Frauen im Arm vor seiner Bar. Es Wiener Zeitung 12.09.2015 Prater Wien Solmaz Khorsand 13.09.2015 für Prater Wien Gmb H und Wiener Praterverband zum eigenen Gebrauch nach §42a Urh G. ist ein bisschen Peepshow fiir dassonst so polierte Leben. Man ist ja auch selbstkritischund wettert schon einmal gegendie eigene Sippe. Diese Bobos, wiesie die Mieten in die Hhe treibenund mit ihrem selbst gersteten Kaffee den letzten Spiegeltrinkervom Karmelitermarkt verjagt haben. Ach, der Karmelitermarkt. Erhat doch 1.;:ingst jede Authentizithtverloren, sagen sie. Dabei warensie es, die ihn erobert haben. Undder Eroberungsfeldzug geht weiter. Gasse um Gasse. Viertel um Viertel. Bis auch das letzte Dachgescho B ausgebaut ist. Vielleichtmssendann aber auch sie ihre Koffer packen. Leopoldstadt2. Bezirk Bezirksvertretungswahlen 2010 Ergebnis der Stadtwahlbehrde42,29% SPOOVP11,11% Grne FK) BZCs KPC) LIFKI21,00%tr1,16%(+0,11%)1112,50%(+0,57%)1,03%(+0.50%) I0,14%(0.2.1%) I(3.57%) Grafik: wz Ouelle: Stadt Wien, MA 23. Statistik Austria(+1,18%)(+7,63%) OVP(6,17%) FPOBezirksvorsteher: Karlheinz Hora ( SPO)46. Durschschnittliches Nettoeinkommenpro Jahr und Person in Euro( Vgl.1. Bezirk 34.066.16) 20.541,62 WIENER ZEITUNGFlache19,72 km2 Arbeitslosenrate8.3% Einwohner101.647 EUStaatsbrger10.526 Drittstaatsangeh Orige14.083 Wiener Zeitung 12.09.2015 Prater Wien Solmaz Khorsand 13.09.2015 für Prater Wien Gmb H und Wiener Praterverband zum eigenen Gebrauch nach §42a Urh G. maimom Immozone.fflawas iamemo inamrte.4e. Praterstern Prater. Fotos: Christian Wind