07.06.2016 68 1/3 Prater Wien 07.06.2016 68 2/3 Prater Wien 07.06.2016 68 3/3 Prater Wien WENN ALLES SICH DREHT Kulturgeschichte / 6 Ringelspiel WENN ALLES SICH DREHT In der schönen Jahreszeit haben landauf, landab Kirtage und Volksfeste Hochsaison. Die Kulturgeschichte des Karussells. Kirtag in Korneuburg. Während große Fahrgeschäfte computergestützt betrieben werden ... ... genügt beim Ringelspiel (noch) eine
[MEHR]einfache Technik. ' Herrreinspaziert! Herrreinspaziert!' Die Stimme des Schaustellers scheppert aus dem Lautsprecher. Es riecht nach Langos und Zuckerwatte. Vergnügen liegt in der Luft, umso mehr, als der Wiener Wurstelprater heuer sein 250jähriges Bestehen feiert und der Kirtag in Kollmitzberg, Mostviertel, gar sein 500jähriges Jubiläum begeht ( Schaufenster Kultur. Region wird in der September Ausgabe berichten). ' Der Drehmoment' Fixer Bestandteil von Jahrmärkten, Kirtagen und Volksfesten ist 'der Drehmoment': das Ausdem Alltaggekreiselt Werden, das Adrenalinschleudern, das Hochhinausgefühl. ' Die Welt dreht sich, verschwimmt vor den Augen, löst sich auf, es ist, als wäre man nicht nur auf einen Blickwinkel eingeengt, sondern könne nun aus allen Perspektiven gleichzeitig heraus schauen. Das hat etwas Berauschendes an sich', schreibt die Trance Forscherin Kay Hoffman. Kettenflieger und Russische Schaukel, Teufelsrad, rotierende Kaffeetassen und Luftschiffe, aber vor allem prächtig aufgezäumte Holzpferde, Schimmel und Rappen, Füchse und Falben dürfen bei keinem Jahrmarkttreiben fehlen. Die Vorläufer des Karussells sind die Feste des Barocks, allen voran die des französischen Hofs. Turnieren gingen festliche Umzüge voraus. Der Begriff Karussell trägt das arabische Wort ' Kurradsch' in sich, das Geschicklichkeitsspiele für Reiter wie etwa das Ringestechen im Galopp bezeichnet; mit den Kreuzzügen kam der Begriff nach Europa und wurde zum Karussell. Aus diesem Karussellreiten mit lebenden Pferden und prächtiger Aufmachung wurde für das einfache Volk das Ringelspiel mit seinen Holzpferden im glanzvollen Rahmen. Mit Spiegeln, Lichtern, Ornamentik und Orchestrion haben die traditionellen Karusselle ihre barocke Anmutung bis heute bewahrt. Bei den Schaustellern tauchte das Karussell erstmals im 17. Jahrhundert auf. Es waren einfache Drehkreuze, auf deren Enden man Platz nahm. Auch Haspeln, senkrecht stehende Drehkreuze mit frei hängenden Sitzen, sind Vorläufer der thematisch ausgeschmückten Karusselle, die allesamt hündisch angetrieben wurden. Laufund Fahrgeschäfte Die Schausteller reisen mit ihren Fahrgeschäften von Jahrmarkt zu Jahrmarkt, wobei der Rupertikirtag in Salzburg, der Urfahraner Markt bei Linz oder der Villacher Kirtag zu den größten zählen. In Niederösterreich sind es das Volksfest in St. Pölten und die Wieselburger Messe. ' Die Urgroßeltern waren noch mit dem Pferdewagen unterwegs', erzählt Ronald Avi, Schausteller in sechster Generation. Dabei wurden die Buden, Schaukeln und Karusselle zerlegt und auf Packwägen geladen. ' Im Wanderbuch der Urgroßeltern kann man ihre Routen nachverfolgen so kamen sie im Sommer bis nach Mitteldeutschland und im Winter bis vor Rom.' In diesen Wanderbüchern vermerkten jeweils die örtlichen Behörden den bewilligten Aufenthalt der Schaustellerfamilien. Die Kinder wie Ronald Avi waren sogenannte Wanderschüler und besuchten die jeweilige Schule. ' Schon beim zweiten Besuch kannte man seine Mitschüler ich kam ja immer in dieselbe Klasse.' Heute sind die hochtechnischen 'großen Laufund Fahrgeschäfte' in Spezialtransporter integriert, mit eigenen Stromaggregaten und 'natürlich alles computergesteuert', so Avi. Die Kosten dafür beginnen bei einer Million Euro, und da ist der Transporter noch nicht miteingerechnet. Teure Holzpferde Mit den Stadtfesten, die ab den 1980er Jahren in Österreich wieder Kleinkunst, Gaukler und Variete auf die Straße brachten, kam auch die Renaissance von traditionellen Ringelspielen und einfachen Vergnügungen von anno dazumal wie Dosenschießen oder Stelzengehen. Ein altes Karussell mit echten Holzpferden ist das der Frau Hedwig Hirsch und steht wenn an m* "quot;gt;( CTm ;** T ... aus es nicht gerade woanders im Einsatz ist in Schloss Hof im Marchfeld. Der Preis eines geschnitzten Pferdes übersteigt heute schon den eines lebenden mit 15.000 Euro pro Stück ist zu rechnen. Merkmal eines Ringelspiels ist der Ersatz für die Wirklichkeit. Um diese Vorstellung zu verstärken, bewegen sich die Pferde auf manchen Karussellen während ihrer Kreisfahrt auf und ab, bei anderen sind sie zumindest beweglich befestigt, sodass der Reiter damit schaukeln kann. Ab 1880 etwa erhielten die Karussellpferde die charakteristische Aufund Abbewegung, die den Eindruck des Reitens verstärkt. Im Wiener Prater führte Basilio Calafati 1844 das Dampfkarussell mit einer dampfbetriebenen Lokomotive ein, die mit kleinen Waggons bestückt war. Es drehte sich um den ' Großen Chineser', der auch als Calafati in die Geschichte einging. Mit der beginnenden Motorisierung um 1900 rüsteten die Schausteller ihre Ringelspiele auf Tramway, Motorrad, Schiff und Raumschiff um. Die Musik ist ein wichtiger Bestandteil des Karussells. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand dieses häufig in Verbindung mit einer Jahrmarktorgel, die automatisch für Musikbegleitung sorgte. Sie hatte, je nach Größe, ihren Platz entweder neben dem Karussell oder war darin integriert. Kettenflieger und Teufelsrad Beim Kettenflieger oder Kettenkarussell sind die einzelnen Sitze mit Ketten an einem Drehkranz aufgehängt. Je schneller Angetrieben wird das Karussell über zwei Fahrräder, die vom Publikum in Schwung gebracht werden dürfen. es sich dreht, desto stärker schwenken die Sitze durch die Fliehkraft radial zur Seite aus. Beim Wellenflug wird der Drehkranz zusätzlich gekippt. Kaum mehr in Gebrauch ist das Teufelsrad, eine drehende vertikale Scheibe, die in den 1950er Jahren noch mit Parkettboden belegt war. Das Publikum lag auf der Scheibe, inklusive willkommenem Geschubse und Gedrücke. Die sitzende Variante dazu ist das Tagada, das am Rand eine bis auf Einund Ausgangstor durchgehende Sitzbank aufweist. Die Fahrgäste werden durch die Fliehkraft in die Sitzlehne gepresst. Die Russische Schaukel kann als Vorläufer des Riesenrads gesehen werden. Auf einem stehenden Rad hängen Schaukelsitze, und als anlässlich der Weltausstellung 1893 in Chicago das erste Giant Wheel mit 73 Meter Höhe errichtet wurde, war die ganze Welt verrückt nach diesen Riesenrädern. In Wien wurde es gar zum Wahrzeichen. Zwei, drei kleine Riesenräder touren durch Österreichs Jahrmärkte und Volksfeste doch mit ihren zehn Meter Höhe locken sie nur noch Nostalgiker sowie Großeltern mit ihren Enkeln zu einer Fahrt. Hermann Leopoldi hat in ' Schön ist so ein Ringelspiel' über den wahrhaften Reiz dieser heiteren Drehmomente gesungen: ' Immer wieder fährt man weg und draht sich doch am selben Fleck.' / Text: Mella Waldstein Fotos: Manfred Horvath