04.05.2016 911 Prater Wien 1/3 04.05.2016 911 Prater Wien 2/3 04.05.2016 911 Prater Wien 3/3 eim Gottesdienst kann es schon einmal Vorkommen, dass Zaungäste von oben zuschauen. Dann nämlich, wenn sich im Hintergrund das Kettenkarussell in schwindelnde Höhen schraubt und Fahrt aufnimmt. Zweimal im Jahr feiert Pfarrer Stefan Schumann einen ökumenischen Gottesdienst im Wiener Prater: Zu Beginn der Saison im April und zu
[MEHR] Saisonende im Herbst kommen die Schaustellerfamilien dafür im traditionsreichen Prater Gasthaus ' Schweizerhaus' zusammen. Wenn der Pfarrer auf den Jahrmarkt geht Seelsorge im Kassahäuschen THEMA: SCHAUSTELLERSEELSORGE Es geht um Sicherheitsfragen, um die Vergabe der Standplätze. Und manchmal gibt es auch Streitereien. Da sind die Leute dann froh, wenn ein Seelsorger dabei ist.' Heuer begeht der Prater in Wien sein 250jähriges Bestehen. Nicht ganz so lang, aber immerhin seit vielen Jahrzehnten gibt es die Schaustellerseelsorge: ' Der Gottesdienst ist den Menschen sehr wichtig, das merke ich schon daran, wie viele kommen und mitfeiern', sagt der Pfarrer. Die Gottesdienste feiert Schumann gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen Joseph Farrugia, der in der Römischkatholischen Kirche die Schaustellerpastoral versieht. ' Im Grunde ist der Prater wie ein Dorf, eine Landgemeinde sozusagen. Alle kennen einander, es sind immer dieselben Familien, und über die Jahre ist ein sehr gutes Vertrauensverhältnis entstanden', erzählt Schumann, der seit 25 Jahren für die Künstler, Zirkusund Schaustellerseelsorge zuständig ist. Das bringt natürlich auch Reisen mit sich. ' Du musst dich auf den Weg machen und hinfahren zu den Menschen. Das verbindet, denn die Menschen, die ich in Linz oder Bregenz besuche, waren ja vorher auch auf der Reise.' So beginnt Schumann dann seinen Besuch mit einem ersten Begrüßungsgang über den Jahrmarkt, und die Leute freuen sich, wenn sie ihn sehen. Bei der zweiten Runde, etwas später, wird dann gemeinsam Kaffee getrunken. ' Auf der dritten Runde dann setze ich mich zu den Menschen ins Kassahäuschen. Wenn dann nicht so viel los ist, weil es regnet zum Beispiel, dann findet Seelsorge statt, und die Menschen öffnen sich.' Die Probleme seien die gleichen wie bei anderen: Beziehung, Arbeit, Krankheit. Hin und wieder auch wirtschaftliche Themen. WISSEN: WIENER PRATER Am 7. April 1766 war es soweit: Der Wiener Prater wurde von Kaiser Joseph II. für die Bevölkerung Wiens geöffnet. Der Prater diente nun nicht mehr nur dem Jagdvergnügen des Monarchen und seines Hofes. Schnell wurde er zum beliebten Erholungsort. Joseph II. erlaubte die Ansiedlung von Kaffeehäusern und Wirten: die Geburtsstunde des Wurstelpraters. Feuerwerke, Prostitution, eine Weltausstellung und vieles mehr sorgten für Besucher. Heute üben Fahrgeschäfte und ' Stelzn' große Anziehungskraft aus. Ein besonderes Thema bei Schaustellern ist die Kindererziehung, speziell auch die Frage nach dem Schulbesuch. ' Die Schausteller wissen, dass Bildung heute enorm wichtig ist.' Für die Schausteller selbst ist die Begleitung durch Seelsorger aber eine große Selbstverständlichkeit, und ihnen ist das auch wichtig', erklärt Pfarrer Heinrich. Auf der anderen Seite brauchen die Schausteller durchaus spezielle Seelsorger, die bereit sind, sich auf ihre Lebenswelt einzulassen, auf ihre besonderen Lebenszusammenhänge. Die Gottesdienste im Prater feiern die Pfarrer und Schausteller seit einigen Jahren im ' Schweizerhaus'. ' Früher waren die Gottesdienste immer im Autodrom, aber das hat meiner Mutter nicht gefallen', berichtet Lydia Kolarik, Inhaberin des ' Schweizerhauses' und aus einer evangelischen Familie stammend. ' Das war meiner Mutter zu laut, und so hat sie den Gottesdienst einfach in unser Gasthaus verlegt.' Nicht nur für Kolarik ist der Gottesdienst sehr wichtig: ' Es gehört inzwischen schon dazu, dass wir gemeinsam hier Gottesdienst feiern, und ich weiß von vielen, dass sie diese Feier schätzen.' Diese Tradition werde sie auf jeden Fall weiterführen, auch in die Vorbereitungen ist sie eingebunden: ' Wir suchen immer die Musiker aus, auch das hat Tradition. Wir hatten schon die Kunstpfeiferin Baroness Jeanette Ups von Lipstrill aus dem Variete, die für uns die Musik gemacht hat, oder pensionierte Opernsänger.' Als letztes Lied im Gottesdienst singt die Gemeinde immer ' Großer Gott, wir loben dich': ' Das war das Lieblingslied meiner Mutter Else, das gehört einfach dazu', sagt Lydia Kolarik. Das bestätigt auch Schaustellerseelsorger Pfarrer Torsten Heinrich. Er leitet seit 2015 die Seelsorge für Schausteller und Zirkusleute der Evangelischen Kirche in Deutschland ( EKD). Wenn Heinrich längere Zeit auf dem Jahrmarkt ist und auf Bekannte trifft, dann werden selbstverständlich auch Seelsorgegespräche geführt. Die Probleme der Schausteller unterscheiden sich laut Heinrich nicht Pfarrer Stefan Schumann und Lydia . Schweizerhaus': ' In diesem lauten und hektischen Betrieb die Gottesdienste und Seelsorge sehr wichtig für uns' Kolarik nach dem Gottesdienst im hier sind Es sind diese Traditionen, die den Menschen im Prater und auf den Jahrmärkten im Land Halt geben: ' Ich bin so etwas wie eine Konstante, das bringen auch die Jahre mit sich', bilanziert Pfarrer Schumann, der vor Jahren auch als Regisseur im Theater gearbeitet hat. ' Man muss schon auch das Laute und Bunte mögen, denn das bringt das Arbeitsumfeld auf den Jahrmärkten auf jeden Fall mit sich.' Pfarrer Heinrich in Deutschland ist zur Schaustellerseelsorge gekommen, weil er immer wieder auf der Suche nach neuen und interessanten Herausforderungen ist. ' Es ist eine spezielle Arbeit, für die sicher nicht jeder geeignet ist. Man wesentlich von den Problemen der Menschen in 'normalen' Gemeinden: ' Die Schausteller leben auch in Familien, führen Ehen, haben Kinder. Was dazukommt, ist, dass Schausteller auch Unternehmer sind. Damit einher gehen natürlich spezifische Themen. Gottesdienst mit Praterkulisse: Kettenkarussell muss sich auf diese Menschen einlassen können, man darf kein hochliturgischer Mensch sein, man muss flexibel und kreativ sein', beschreibt Heinrich das Berufsbild. Er selbst hat es nicht bereut, auf diese besondere Pfarrstelle gewechselt zu haben. Dass die EKD bis heute Schaustellerseelsorge anbietet, findet Heinrich legitim und wichtig. ' Einerseits, weil es wirklich ein Wunsch der Schausteller ist. Diese Menschen fühlen sich sehr verbunden mit der Kirche. Und wenn man bedenkt, dass es 23.000 Schausteller gibt, dann sind wir mit elf Pfarrstellen und weiteren elf Seelsorgern in Deutschland eigentlich unterbesetzt', so Heinrich. ' Dass Seelsorgerinnen mit den Schaustellern im eigenen Wohnwagen mitfahren, wurde vor rund zehn Jahren unüblich', erklärt Heinrich. Allerdings besucht auch er regelmäßig Schausteller auf Jahrmärkten und bleibt dann dort auch gleich mehrere Tage. ' Ich übernachte dann aber nicht im Wohnwagen am Platz, sondern nehme mir ein Hotelzimmer.' Pfarrer Heinrich schätzt die Arbeit als Schaustellerseelsorger, besonders wenn er mehrere Tage an einem Ort ist. ' Wenn ich vier Tage auf einem Volksfest bin, dann gibt es manchmal an drei Tagen Konfirmandinnenunterricht und dann am vierten Tag die Konfirmation', so Heinrich über die besondere Situation auf Jahrmärkten und Volksfesten. Aber auch Taufen auf dem Autoscooter finden regelmäßig statt. ' Das ist überhaupt das Gängige. Ich erlebe kaum Kirchen von innen, dafür viele Festzelte, Autoscooter und vieles mehr. Die Leute machen das gerne, wenn Kasualien (besondere kirchliche Amtshandlungen wie Trauungen, Taufen, Konfirmationen) mit ihren Geschäften vereinbar sind.' im Hintergrund Menschen auf dem Selbstverständlich ist auch die Schaustellerseelsorge ökumenisch organisiert, und das funktioniert gut: ' Das hängt natürlich immer von den Personen ab, mit denen ich zusammenarbeite.' Auch wenn das Abendmahl nicht gemeinsam gefeiert werden kann, so gibt es nach den Gottesdiensten im Prater traditionell eine Stelze, 'und die verspeisen wir in ökumenischer Eintracht'. Weitere Informationen unter: www.schaustellerseelsorge.at STEFAN JANITS/ MARCO USCHMANN GESTALTUNG: ISABELLA ST A S T N Y/ M A R CO USCHMANN Für Stefan Schumann gehört dies zu den schönsten Momenten bei der Schaustellerseelsorge: ' Vor einigen Jahren hatte ich einmal eine Taufe in einem Kinderautodrom. Das war sehr berührend, vor afem, mit welcher Mühe und Sorgfalt die Taufeltern das Autodrom geschmückt haben. So etwas erlebt man nur auf Jahrmärkten, da bin ich mir sicher.' Auch für die Besitzerin des ' Schweizerhauses' ist das sehr wichtig: ' In diesem lauten und hektischen Betrieb hier um uns herum sind diese Gottesdienste und die Seelsorge durch den Pfarrer ganz wichtig für mich. Und dass sich die anderen die Zeit nehmen und kommen, zeigt ja auch, dass es ihnen wichtig ist. Mir jedenfalls gibt es ganz viel.' Kolarik ist im Prater aufgewachsen. In ihrer Kindheit sei es schon eine Attraktion gewesen, wenn man sich Dreiräder ausleihen konnte und im Prater damit herumgefahren ist. ' Aber die alten Attraktionen kommen wieder, die Zwergerlhochschaubahn etwa. Die fahre ich jetzt mit meinen Enkelkindern.' Die anderen Fahrgeschäfte lässt sie inzwischen aus, bis auf das Kettenkarussell: ' Das liebe ich.' Karussellfahren gehört praktisch zu den Pflichten eines Schaustellerseelsorgers dazu: ' Selbstverständlich fahre ich mit der Hochschaubahn und allen möglichen anderen Attraktionen. Und selbstverständlich habe ich Angst. Nur wenn es ständig im Kreis geht, das ist nichts für mich', schmunzelt Schumann. Aber es komme durchaus vor, dass ein Karussellbesitzer ihn einlade zur ersten Fahrt mit einer neuen Attraktion: ' Da kann ich nicht nein sagen.'